ROMANTIK IMPROVISATION

Hier werden skizzenhaft die wichtigsten Merkmale für den Romantik Stil aufgelistet. Das Wissen um diese Merkmale hilft natürlich nicht nur beim Erlernen der stilgebundenen Improvisation sondern auch bei analytischen Auseinandersetzungen und beim Vomblattspiel.

Allgemeine Übetipps:

  1. Analyse von geeigneter Originalliteratur (oft nur Teilaspekte oder Abschnitte) im Hinblick auf die Parameter Form, Melodik, Harmonik, Begleittechniken und Satzstruktur (s. u.)
  2. Improvisatorische Anwendung/Übertragung von Prinzipien, die in der Originalliteratur gefunden wurden, auf gegebene Themen, Formteile oder auf ein ganzes Stück.

Originalliteratur als Vorbild (Auswahl):

  • Mendelssohn: Lieder ohne Worte
  • Schumann: Album für die Jugend op. 68 (Nr.1, 3, 4, 5, 9, 10, 14, 16, 19, 21, 26, 28, 30, 42, , Kinderszenen
  • Tschaikowsky: Jugend Album, op. 39 (Nr. 4, 6, 9, 13, 16, 21, 24), op.5 (Romance), op.10, Nr.1 (Nocturne), op. 40, Nr.6 (Chant sans paroles), op.40, Nr.2 (Chanson triste), op.19 (Nocturne), op.37a, Nr.6 (Barcarole), op. 37a, Nr. 11 (Troika)
  • Liszt: Consolations Nr. 3 + 5
  • Chopin: Notturne (op.48 Nr.1, op.15 Nr.3, op.27 Nr. 1, op.9 Nr.2, op.37 Nr.1, C Moll posthum)
  • Schubert: Moment musicale (op. 94 Nr. 2), Impromptus (op. 142, Nr. 2 + 3)
  • Brahms: Intermezzo op. 117 Nr.1, Intermezzo op. 118 Nr.2, Romanze op. 118 Nr. 5,
  • Intermezzo op. 119 Nr.3)

FORM

Großform:

  • vielfältige Varianten großformaler Anlagen
  • auch offene Formen
  • oft AB oder ABA (Liedform mit kontrastierendem B-Teil)
  • auch Rondoform oder Variationsform
  • Titel (Charakterstücke usw.): z. B.  Lied ohne Worte, Impromptus, Intermezzo, Capriccio, Phantasie, Humoreske, Notturne, Preludes, Images, Albumblatt, Novelette, Arabeske, Moment musicale, Waldszenen
  • Binnenstrukturelle Formmerkmale:
  • symmetrische und unsymmetrische Anlagen (s. Brahms)
  • oft rhapsodisch, improvisatorisch, balladesk
  • strukturelle Gestaltung mit einem einzigen Motiv (Idee) bei gleichzeitiger Abwandlung oder verschiedenartiger Fortführung
  • oft Mehrfachwiederholung eines Themas
  • bei Themenwiederholung: zahlreiche Varianten (auch mit Stimmtausch oder durchbrochenem Stil), oft auch im mediantischen Abstand

Melodik

(s. auch binnenstrukturelle Formmerkmale)

  • regelmäßige und unregelmäßige Phrasenlängen
  • große, expressive Sprünge mit romantisch-schwärmerischem Gestus (s. Chopin), oft in Kombination mit diatonischen oder chromatischen Vorhaltsbildungen
  • teilweise synkopisierte Anlagen
  • verzierte Melodik (insbesondere bei Auftakten und Vorhaltstellen): diatonisch oder chromatisch, einfach bis komplex, oft als quasi improvisatorische Figur (z. B: Septolen usw.) oder figuratives Beiwerk
  • Melodieton kann None des Dominantseptakkordes oder Doppel-D7 sein
  • romantische Melodie hat oft einen Höhepunkt, der durch allmählichen Anstieg erreicht wird und wieder rasch abgleitet (vgl. ballistische Kurve)
  • manche Melodien sind quasi Überterzungen (s. Volkstümlichkeit)

Harmonik

Akkordtypen:

  • allg.: Verstärkung des subdominantischen Bereichs, z. B. Moll Subdominante (auch mit sixte ajoute)
  • häufig Dv (o7 – Akkorde) in verschiedener Funktion (Charakter ist Instabilität; Schönberg nannte ihn „Landstreicher2“ oder „Vagabund“): zwischendominantisch, Vorhalt, Wechsel, Durchgang, Antizipation
  • bei Dv (o7-Akkord) als Zwischendominante: Mischung zwischen Dominante und Mollsubdomiant-Anteilen!
  • Chopin-typisch: viel D7/b9 (s. Einfluss auf Charlie Parker!)
  • Oft ist in Melodie die None einer Dominante oder Zwischendominante, wobei oft wie z. B. im Chorsatz der Grundton fehlt (verkürzter Akkord)
  • Optionen wie z. B. bei D13, D7 add b13, D7/sus4 (b9)
  • Archaische Mittel (s. Historismus): z. B. N6 (auch als verselbständigter Akkord), phrygische Kadenz, Bordun (s. „Leiermann“ aus Schuberts „Winterreise“)
  • Alterierungen: bei Subdominante mit hochalterierter 6 und bei Dominanten (D#5, D7/b5, D7/#5, D7/#9, D7/b9 usw. ; innerhalb komplexer Satzstrukturen – oft in Verbindung mit Verschleierungsabsichten – gelegentliches Erreichen des Grenzbereiches der funktionellen Harmonielehre (z. B. bei Wagner und Mahler)
  • Akkordfolgen: (vgl. auch Satzstruktur)
  • Einbeziehung der Mollsubdominante (s. Verstärkung des subdominantischen Bereichs): z. B: Doppeldominante – Mollsubdominante (s. chromatische Bewegung);
  • z. B. Pendelbewegungen mit Subdominanten z. B. C – F(m) – C
  • Viel Zwischendominanten (oft: Einführung der Terz über einen Halbttonschritt); beachte die Maximal-Übungen: z. B. C – A7/C# – Dm –  B7/D# – Em – C7/E – F – D7/F# – G – E7/G# – Am – F – C/G – G- C; und z. B. VII – III- VI – II – V – I (mit wechselweiser Verwendung der Zwischendominanten als Sextakkorde).
  • romantische Trugschlusswendung: D – S (s); oft ist der Trugschlussakkord ein überraschende Beginn einer neuen Tonart
  • Oft Vorhaltswendung mit Vorhaltsakkord als Mischakkord zwischen D7 und Tonika: D7/T
  • Funktionslose D7-Ketten (Ellipsen), wobei gelegentlich Verbindung durch einen gemeinsamen Ton hergestellt wird (s. Liegeton)
  • Verwendung aller Umkehrungsformen der D7-Akkorde, wobei Auflösungstendenz der Sept entfällt
  • Dv (o7-Akkord) Auflösungswege: entweder kann jeder Ton des Dv Leitton zum Grundton oder zur Quint eines Zielakkordes sein oder jeder Ton des Dv kann Grundton der Auflösung sein
  • Sequenzen: tonale und reale (Transpositionen), auch Sequenzierung auf mediantischer Ebene
  • Mediantische Wendungen: Möglichkeiten sind kleine oder große Ober- oder Untermediante                                     (s. o. : Themenwiederholungen oder Sequenzierungen auf mediantischer Ebene)
  • Akkordfolgen mit chromatischen Bewegungen: oft auch musterhafte Klischeewendungen; oft leichte chromatische Veränderungen bei Repetitionsakkorden (vgl. Ton-für-Ton Verwandlungstechnik); s. Zwischendominanten; s. Vermollung usw.
  • oft überraschende harmonische Abbiegungen von melodischen Zäsurstellen (s. Schumann, s. Reger)
  • raffinierte oder überraschende Klangfolgen (s. Liszt)
  • gelegentliche ostinate Akkord-Motivik
  • oft 3-stimmiger volkstümlicher Satz (mit Hornquint-Passagen, Sexten Terzen)
  • archaische Mittel: modale Wendungen, z. B. Bordunkette

Begleittechniken

  • balladesk: von einfachen, gitarrenartigen (z. B. Arpeggiofigur mit der Tonfolge: 1 – 5 – 10 – 5) bis weitgeschweiften Arpeggios und zäsur-überbrückende skalenförmige Übergangsformeln
  • „kleine“ und „große“ nachschlagende Begleitakkordik mit Wechselbass und verbindenden Durchgangsbässen (zäsur-überbrückende skalenförmige oder arpeggio-artige Übergangsformeln)
  • oft auch synkopische nachschlagende Akkorde
  • Akkordrepetitionen (oft innerhalb der Stimmtausch Technik)

Satztechniken

  • homophone oder polyphone (oft komplexe Anlage: z. B. gleichzeitige Chromatisierung in mehreren Stimmen) Satzstrukturen
  • oft poesievoller Klaviersatz, balladesk, rhapsodisch, lyrisch
  • oft Melodiebögen von unterschiedlicher Länge über Arpeggiostrecken
  • oft Einbeziehung von Orgelpunkt (oft ausgedehnte Vorhaltsquartsextakkordstellen) und Liegestimmen
  • Außenstimmen Kombinationen (Kontrapunktik wie Parallelismus oder Gegenbewegung), oft auch Außenstimmen als Liegestimmen und Melodie (+ evtl. weitere, an die Melodie gehängte Stimme) in der Mittelstimme
  • In Arpeggios versteckte Melodik (vgl. Scheinpolyphonie und versteckte Zweistimmigkeit des Barock)
  • Archaische Mittel: z. B. Unisono als Simultanvariation wie in der mittelalterlichen Heterophonie; z. B. Unisono als „und jetzt alle“ Effekt; z. B. Unisono als Tutti Effekt; z. B. Arpeggios als mittelalterlicher Lauten Effekt; z. B. Choral
  • Oft instrumentationstechnische Vorstellung: z. B. hoher oder tiefer Bläsersatz usw.
  • Kontrast: einerseits volkstümliche Techniken (s. o.: z. B. Hornquintpassage, Terzen- und Sexten Parallelen) und andererseits hoch komplexe harmonische und satztechnische Erscheinungen

 

 

Veröffentlicht von

Prof. Frank

Seit 1983 Professor für Schulpraktisches/Unterrichtspraktisches Klavierspiel, Klavierimprovisation und Jazz (z.B. Jazzpiano, Chor) an Hochschule für Musik in Mainz