VOM BLATT SPIEL (Tipps für Pianisten)

Ausführliche Tipps zum Trainieren des Vom Blatt Spielens am Klavier: Allgemeine Hinweise, Literatur und Übungen zum Trainieren der Einzel-Fähigkeiten des Vom Blatt Spiels.

Allgemein:

1. wird kaum oder nicht systematisch unterrichtet.

2. Gegenargument zur Behauptung der Nicht-Lehrbarkeit:

Musizieren wird auch nicht unbedingt allein dadurch besser, dass man es oft tut.

3. Gute Voraussetzungen sind:

a) Theoriekenntnisse

b) Stilkenntnis (s. Artikel in Kategorie „Konzepte“)

c) Technische Fertigkeiten

d) Hohe Flexibilität in Greifen und Begreifen (rasche Augenbewegungen und rasche Verarbeitung von visuellen

Eindrücken)

e) Mut

f) kreatives Üben (Übe-Intelligenz!) + systematisches und regelmäßiges  Üben (von Beginn an!) + nie aufhören, sich verbessern zu wollen!

s. z. B. Gerhard Mantel: „Einfach Üben“ (Schott Verlag):

– Spiele keinen falschen Ton, egal wie der Rhythmus aussieht

– Spiele gnadenlos gleichmäßiges Metrum, ohne Rücksicht auf falsche Noten oder sogar falsche einzelne Rhythmen

– Spiele einen gnadenlos richtigne Rhythmus, egal welche falschen Töne oder welches Tempo dabei entsteht.

 

4. ÜBUNGEN

Trainieren der Einzel-Fähigkeiten und sukzessiver Kombinationen dieser:

 

TONART(EN) / VORZEICHEN: (s.auch extra Artikel: Extremübung für Vorzeichen im Verlauf des Stückes)

– Vorzeichen am Zeilenbeginn und direkt vor den Noten

– Spekulieren:

Vorzeichen während des Stückes können chromatische Läufe, Akkordfärbungen (Geschlechtswechsel, Alterierungen) oder Modulationen bzw. Ausweichungen andeuten.

„#“ vor Ton kann auf einen Leitton und „b“ vor Ton kann auf einen Gleitton hinweisen.

– „x“ oder „bb“ bedeuten fast immer weiße Tasten.

 

TEMPO:

– Maßstab ist schwierigste und schnellste Stelle

– Regel: So rasch wie möglich und so langsam wie nötig.

– Fließendes Tempo halten können, ist sehr wichtig. Nicht stocken oder verbessern! Beim Aussteigen wenigstens weiterzählen und wieder einsteigen!

 

TAKTART:

– Beachte die Angaben zu Beginn des Stückes

– Taktart-Wechsel während des Stückes ?

 

RHYTHMIK:

– Rhythmische und rhythmisch-metrisch schwierige Stellen?

– Rhythmische Sicherheit ist wichtig.

– Übung: Nur die Anfänge vieler verschiedener Stücke spielen!

– stets mitzählen!

– Rhythmen Vom Blatt Klatschen/Klopfen (später auch sich nur vorstellen) und dabei laut oder innerlich mitzählen (oder mit Metronom!)

 

MELODIK:

– Zuerst analysieren (melodische Struktur, immanente Harmonik, formale Struktur, rhythmische Struktur, Ausdruck, Spannungs-Entspannungsverläufe, Höhepunkte und Zwischenhöhepunkte)

– Vom Blatt Singen (zuerst sich innerlich vorstellend „singen“; dazu zählen; auswendig aufschreiben und auswendig spielen)

 

ANGABEN ZUM STÜCK:

– Komponist und Titel geben Hinweise auf Stil und Charakter des Stückes.

– Ausdrucksbezeichnungen beachten (Musik machen ist oberstes Gebot)!

 

SCHLÜSSEL:

– zu Beginn des Stückes?

– wechseln die Schlüssel im Stück?

 

NOTEN AUF HILFSLINIEN:

Durch Sprung erreichte Noten mit viel Hilfslinien können rascher erfasst werden, wenn man

– sich bewusst macht, dass unser Liniensystem ein Terzensystem ist

– rückwärts liest, bis eine bekannte Note kommt.

 

FINGERSATZ:

– in Handlagen denken und üben (s. zusammenfassendes Vorauslesen)

– „klassische“ Fingersätze sind bei Skalen wichtig, müssen aber von jedem Ton aus funktionieren.

– Der „C-Dur-Fingersatz“ sollte für alle Tonarten trainiert werden.

– Allgemeine Flexibilität

 

SKALEN:

Kontrolle, ob konsequent diatonisch oder konsequent chromatisch und dann nur Anfang und Ende lesen.

 

HARMONIK:

– rasch einen harmonischen Überblick gewinnen (Exzerpt, Großkadenz)

Übungen:

– akkordliches Zusammenfassen bei Arpeggio-Strukturen

– Oberstimme und Bass herausspielen und Mittelstimmen erahnen (s. Generalbass)

– auf und unter jedem Ton jegliche Akkord-Art bilden

 

STRUKTUR:

Makro- und Mikrostrukturelles erfassen, d.h. Elemente oder (Unter-) Einheiten erkennen, weil

man das übergeordnete Gestaltungsprinzip erkannt hat. (Wesentliches, Typisches, Essenz!)

 

VORAUSLESEN:

– Zusammenfassendes Vorauslesen von musikalisch-technischen Sinneinheiten (Überwinden der gedanklichen Faulheit / nie Einzelheiten lesen, sondern die Datenmenge zu sinnvollen Einheiten zusammenfassen )

– Voraushören i. S. v. im Kopf vorher alles (technische Ausführungshaltung + Klang usw) sich fertig vorstellen (Imaginationsfähigkeit)

– Gleichzeitiges Erfassen von vielen Einzelaspekten wie Tonart, Taktart, Rhythmen, Spielfiguren, Wiederholungen, Varianten, Neues, Ausdruck, usw. (s. Multitasking Fähigkeit; s. Artikel: „Außermusiklaische Übungen für Vom Blatt Spiel“)

– Regel: Was man gerade spielt, ist Vergangenheit

– Trainieren des Kurzzeitgedächtnisses (s. Test: plötzlich Licht ausschalten und weiterspielen; auswendig aufschreiben von Teilaspekten wie Melodie, Rhythmus oder vollständig)

– Fehler beim Vorauslesen von Phrasen liegen meist mehr in der Mitte (vgl. Texte-Lesen)

 

„BLIND ÜBEN“:

– nicht auf die Tasten schauen müssen, sonst geht jedes mal die Orientierung im Notentext verloren

– Übungen: Sprünge von Einzeltönen und Akkorden, auch mit gefesselten (Rest-)Fingern

– Lagen- und Griffgefühl entwickeln für Intervalle, Akkorde, Strukturelles usw.

 

 

Literatur:

– Paul Harris: „Improve Your Sight-Reading“, Piano Grade 1-8, Faber Music

– Kurt Herrmann: „Vom Blatt“, 4 Hefte, Hug Verlag Zürich (1971)

– Wilhelm Keilmann: „Ich spiele vom Blatt“, 2 Bände, Peters Verlag (1970)

– John Kemper: „Piano-Sight-Reading“ (3 Hafte), Schott Verlag

– D. Sandrock: „Help yourself to sight reading“, Oxford University Press (19–)

– Ulrich Stephan: „Vom – Blatt – Spiel“, in: „Üben & Musizieren“, Nov. 95 , S. 27ff.

Wichtig sind auch vierhändige Klavierwerke (von Anfang an):

z. B: Anton Diabelli „Vierhändige Stücke im Fünftonraum“,  „Melodische Übungsstücke“, op. 149, Cornelius Gurlitt „Der Anfänger“,  Schott Verlag,

 

 

Veröffentlicht von

Prof. Frank

Seit 1983 Professor für Schulpraktisches/Unterrichtspraktisches Klavierspiel, Klavierimprovisation und Jazz (z.B. Jazzpiano, Chor) an Hochschule für Musik in Mainz